Sunday, March 05, 2006

Wild Duck: Projektruinen -Herzblutwüste

Gunter Dueck: Wer mag, schreibt über seine Projektruinen! Da es jemand so vorschlug, setz ich mal den Originaltext als ersten Comment hin? Mal sehen...

5 Comments:

Blogger Wilddueck said...

Projektruinen in der Herzblutwüste


„Als Kaiser Karl V. Granada besuchte, war er außer sich vor Entzücken. Er beschloss augenblicklich, hier wohnen zu wollen. Da begannen alle mit dem prächtigen Bau, den Sie hier ganz unfertig sehen. Leider hat Karl so viel reisen müssen wie die alle tüchtigen Herren noch heute. Und so ist er nie wie-dergekommen. Das müssen Sie verstehen.“ – „Ich habe getöpfert, gebatikt und sogar ikebanalisiert. Leider merke ich immer schnell, dass es sofort in Arbeit ausartet. Das liegt daran, dass ich kein Talent habe. Ich bin traurig, weil mir partout nichts zufliegen will. Das ist ungerecht.“

Im Jahr 2005 haben wir eine wunderbare Rundreise durch Andalusien erleben dürfen. Da hörte ich von Karl V. Ich dachte traurig, dass es in der ganzen Welt nur so von Projektruinen wimmelt.
Wikipedia und der Reiseführer sagen: Karl V. plante, Granada zum Regierungssitz zu machen. Des-halb ließ er einen großen Renaissancepalast auf der Alhambra errichten. Da sich auf Grund der Entde-ckung Amerikas die Interessensschwerpunkte des Königreiches verlagerten, ließ man die Residenz-pläne fallen. Der Palast Karl V. wurde nie fertig gestellt.
Und dieselben Stimmen melden zu einem anderen Schloss aus unserem Urlaub 2004: Das Schloss Herrenchiemsee, das ursprünglich ein exaktes Abbild von Versailles werden sollte, besteht allerdings nur aus dem Haupttrakt, da Ludwig II. während der Bauzeit das Geld ausgegangen war und er vor der Vollendung verstarb. Im Schloss wechseln prachtvoll ausgestattete Räume wie der riesige Spiegelsaal, das Treppenhaus und das Prunkschlafzimmer mit unverputzten, leeren Räumen, die aufgrund des Geldmangels nicht mehr wie geplant fertig gestellt werden konnten. In mehreren unvollendeten Räu-men des Südflügels ist ein König-Ludwig-II.-Museum untergebracht. Ludwig II. wollte das Schloss niemals der Öffentlichkeit zugänglich machen; es sollte einzig und allein ihm als privates Refugium dienen, in das er sich vor dem Alltag in seine Traumwelten zurückziehen konnte.

Wenigstens haben wir jetzt eine Menge Welt-Kulturerbe. Denn einige Zimmer sind ja doch fertig ge-worden, in Neuschwanstein und anderswo. Bei den meisten Projekten aber beginnt man alle Zimmer gleichzeitig und beendet keines. Das ergibt eine vollendete Ruine, aus der dann neue Erbauer manch-mal noch die Steine für ein ganz neues Projekt stehlen.

„Wie haben Sie es denn so irrwitzig schnell geschafft, solche wundervollen konstruktiven Pläne zur Beseitigung unserer lebensbedrohenden Produktionsprobleme in der Fabrik zu erarbeiten?“ – „Ich habe mich erinnert, dass wir seit langem jedes Jahr solche Pläne machen müssen! Da habe ich jeman-den aus dem Stab um seinen Plan von vor vier Jahren gebeten, für den er damals befördert worden ist. Ich denke, dass ich jetzt auch die Treppe hoch falle.“ – „Bestimmt, das sehe ich ebenfalls so. Ich freue mich sehr für Sie. Es ist eine glänzende Idee, Wissen kostengünstig wiederzuverwenden. Ich werde Ihr Projekt als Success Story für mein eigenes Knowledge-Management-Projekt zitieren, darf ich?“ – „Aber ja, dann werden Sie doch sicher befördert!“ – „Gewiss doch, in schlechten Zeiten macht Arbeit Spaß – man hat mit allem sofortigen Erfolg, weil die Ängstlichen nach jedem Rettungsanker greifen. Es muss unter Druck nur sehr schnell gehen und einen neuen Namen haben. Statt Abschreiben oder Ideenklau heißt es jetzt Knowledge-Management!“ – „Wenn ich befördert bin, gründe ich eine Taskforce, die einen originellen neuen Firmenklingelton mit Paris Hilton erarbeitet. Corporate Ring Tone heißt die neue Heilsleere. Das senkt die Arbeitslosigkeit, obwohl Hartz V. nie mehr wieder kommt.“ – „Oh, geht es denn mit der Arbeitslosigkeit nicht mehr aufwärts?“ – „Doch, aber Hartz V. hat auf Grund von neuen Entdeckungen in Südamerika seine Interessenschwerpunkte verlagert. Wir planen heimlich eine Agenda 2020, aber wir fürchten, andere wollen uns mit einer Agenda 2030 über-trumpfen. Die Zahl 2025 haben wir als Warenzeichen registriert, wir dachten damals aber nicht, dass sie so weit gehen würden. Aber sie wagen 2030. Es wird kitzlig.“

Überall fast mutwillig provozierte Projektruinen. Woran liegt das?
Ich bin gar nicht negativ, denken Sie das ja nicht. Die großen Beratungsfirmen zählen oft durch, wie viele Projekte von allen „erfolgreich“ sind. Wie immer sie das zählen – jede ernsthafte Schätzung ist kleiner als 25 Prozent. Denken Sie an die normale Politik, an die lokalen Planungen von Umgehungs-straßen oder Ihre eigenen häuslichen Versuche, mehr Sport zu treiben oder eine Diät durchzuhalten. „Ich sollte mal wieder lesen, das Buch habe ich schon. Ich habe auf Langlaufski-Outfits gespart, alles noch neu. Ich würde gerne das Abi nachholen. Ich mache immer nur die ersten drei Wochen in der VHS, dann versteh ich es nicht mehr ohne Arbeit. Vielleicht mache ich einen Ebay-Shop auf oder ich melde mich bei Dieter Bohlen oder Heidi Klum.“ Im Beruf schafft es kein Projekt schneller als der Manager wechselt. Immer ist Wahltermin. Wir sind überdrüssig und unlustig.

Es ist Herzblutwüste.
Ohne Herzblut flackert nur kurz die Freude eines immer wieder neuen Neubeginns. Wer Herzblut hat, funktioniert seine Sehnsucht zum Hobby um, zu Leidenschaft. Mit Herzblut wird von einem Haus nicht nur geträumt, sondern von dem Tag, an dem stolz die letzte Rate bezahlt wird. Herzblut gibt Kraft und setzt alles durch. Jeder, der herzlich will, bewegt Berge. Wer will, nimmt ab und hört mit dem Rauchen auf. Wer will, schafft noch alle Ehrenämter nebenbei. Die anderen fragen: „Wie schaffst du das alles?“ Die Antwort ist Herzblut. Konzentration. Vorfreude. Fokus. Heitere Opferbereitschaft. Beharrlichkeit. Stetigkeit. Unverdrossenheit. Wohlsein auf dem Weg.

Es gibt sehr viel mehr Projektruinen als Beispiele von Herzblutvergießen für nichts. Denken Sie manchmal an die total unbegabte Möchtegern-Operndiva, der man ein eigenes Opernhaus baute, damit sie auftreten konnte? So krass wird nicht oft das Ziel verfehlt, wenn es mit ganzem Herzen verfolgt wird.

„Ein großer Teil des Fortschrittes ist es schon, fortschreiten zu wollen. Wo dieser Wille lebendig ist, ist auch der Weg frei.“ (Seneca)

Das halbe Herz ist gefangen. Das ganze Herz ist frei.

Ich wüsste gar zu gern, wie ich Herzen ganz machen kann.

6:23 AM  
Anonymous Anonymous said...

Auch wenn mich starke Gefühlsmenschen dafür wahrscheinlich steinigen würden:

Aus ökonomischer Sicht wäre es vielleicht sinnvoll, wenn man Herzblut als Resource, ähnlich wie Geld begreifen würde.
Wenn man es gut investiert, dann wird es mehr. Wenn man es verschwendet, dann kann es sehr schnell weg sein. Man kann andere Leute dazu bringen, etwas davon zu investieren und versuchen, es zu vermehren. Es kann nicht beliebig vermehrt werden, sonst wird es wertlos (Inflation, Herzblutwüsten). Wenn aber zu wenig davon da ist, dann werden viele Initiativen mangels Nachschub gelähmt (Deflation).

Das fiel mir zumindest dazu ein. Es mag grausam klingen, von so etwas wertvollem wie Herzblut wie von Geld zu sprechen, aber ich denke, dass tatsächlich viel damit gewonnen wäre, wenn Einsatz, Eigeninitiative und "für etwas brennen" mal mehr als etwas begrenztes und wertvolles gesehen würde, insbesondere von Seiten der Leute, die führen.

2:29 PM  
Anonymous Anonymous said...

Hallo Heike,

ich versuchs gerne nochmal. :-)

Es ging mir gar nicht so sehr darum, diesen "unendlichen Wert" zu verendlichen, sondern eher darum, seinen wahren Wert zu betonen.

In Stellenanzeigen liest man etwa, dass für eine Stelle Einsatz (Herzblut) erwartet wird. Das ist erstmal völlig ok, solange ich das Herzblut der Mitarbeiter gut investiere. Ich sollte ihnen Aufgaben geben, die zu ihnen passen. Ich sollte sie auch mal eine Arbeitsrichtung länger verfolgen lassen als es aus sachlicher Sicht unbedingt nötig wäre. Ich sollte mich verlässlich zeigen und nicht jede Woche von ihnen erwarten, ihr Herzblut in ein neues Projekt zu investieren ohne dass sie die Chance hatten, das letzte abzuschliessen.

Für einen selber gesehen ist es ähnlich: Wenn ich jede Woche eine schmerzhafte Projektruine (beruflich oder privat) hinterlasse, dann habe ich irgendwann nicht mehr die Kraft, etwas neues anzufangen. Wenn ich zu verschwenderisch mit meinem Herzblut umgehe, dann ist irgendwann nichts mehr da. Wenn ich andererseits zu sehr damit geize, dann kann ich es auch nicht vermehren und ich blockiere damit auch mein Vorankommen.

Es tut mir leid, ich schreibe hier ein wenig ins Unreine. Das ist noch keine abgeschlossene Theorie, nur ein paar Ideen. Es ging mir halt darum, dass man Herzblut nicht so behandeln sollte, als ob es unendlich vorhanden wäre, sondern eher als etwas wertvolles, das man pflegen muss.

Ist das jetzt vielleicht etwas klarer geworden?
Vielleicht hast Du ja Lust, da ein wenig mit drauf rumzudenken.

Ciao
Marvis

12:56 AM  
Anonymous Anonymous said...

Hallo Heike,

wir haben anscheinend relativ unterschiedliche Hintergründe.
Ich vermute mal, Du arbeitest irgendwo im sozialen Bereich?
Ich komme aus dem technischen Bereich und arbeite halt üblicherweise projektorientiert.

Du schreibst "Geduld ist wichtiger als Wertschätzung der Begeisterung finde ich!", daher nehme ich mal an, dass Du zu den "wahren" Menschen gehörst (wie ich auch). Wahrscheinlich würde ein richtiger Mensch das ganz anders sehen und sein Herzblut sogar eher in das Erlangen von Anerkennung investieren?

Ich denke auch, dass man versuchen sollte herauszufinden, was man wirklich aus sich heraus macht und was man eigentlich nur für Geld, Sicherheit oder Anerkennung tut. Ich denke aber, das merkt man im Laufe seines Lebens immer besser, oder?

Ich denke, andere Menschen können Dir insofern helfen, Deinen wahren Zielen näher zu kommen, indem sie Dir helfen, sie genau zu erkennen (z.B. durch Gespräche), sie anerkennen und Dir mögliche Wege dahin aufzeigen. Ich bin z.B. meist relativ gut und aktuell informiert und leite dann Informationen, die für Freunde relevant sein könnten, passend an diese weiter. Und als jemand, der andere Menschen führt, hat man hier ja eh noch ganz andere Möglichkeiten.

Ich glaube, dass sowas durchaus auch zu beiderseitigem Nutzen sein kann, wenn die Leute wohlgesinnt sind. Ich habe z.B. ein relativ großes Umfeld und wenn ich dann irgendeine Idee habe, dann suche ich mir die Leute aus, die da Lust drauf hätten (also die, zu deren eigenen Zielen meine Idee passt). So bekomme ich dann Hilfe mit meiner Idee und die Leute können ihre Fähigkeiten einbringen. Das ist viel besser als jemanden zu überreden (was sich natürlich nicht immer vermeiden lässt).

Mir ist schon klar, dass sowas nicht immer funktioniert. Aber ich denke, oft ist wesentlich weniger herzblutvernichtender Druck notwendig als viele glauben. Ich lese ja gerade die "Omnisophie" und ich muss gerade an den Pferdeflüsterer denken. Das Beispiel finde ich sehr schön.

Mal wieder etwas konfus, tut mir leid. Ich glaube, ich gehe besser mal ins Bett. :-)

Gute Nacht!
Marvis

2:19 PM  
Anonymous Anonymous said...

Hallo Heike!

Jetzt verstehe ich endlich, worauf Du hinauswillst. :-)
Mir geht es tatsächlich eher darum, zu entflammen oder Flammen am Brennen zu erhalten. Manchmal repariere ich auch. In der Vergangenheit habe ich das sehr viel getan, jetzt tue ich es nur noch für Leute, die mir wirklich wichtig sind. Das kostet mich sonst zu viel Kraft und ich glaube, dass Ablenkung und das Aufzeigen von möglichen neuen Zielen auch in manchen Fällen helfen können. Finds trotzdem super, wenn Du das als Dein Ziel siehst, aber das ist halt 'ne andere Baustelle.

Das war übrigens ein Misverständnis, ich bin (noch) nicht wirklich in einer Führungsposition. Es sieht beruflich gut für mich aus, aber ich stehe noch am Anfang meiner Laufbahn. Ich habe allerdings schon einige kleinere Projekte verwirklicht und auch schon Gruppen und Projekte geleitet, aber ich hatte formal nie große Macht. Trotzdem konnte ich immer wieder Leute für Ideen begeistern und habe mich andererseits auch gerne von anderen mitreissen lassen. Mal sehen, was da noch so draus wird. :-)

Was Du über Druck schreibst, der nicht wirklich hilft, klingt echt gut. Bei Menschen, an denen mir etwas liegt, mache ich es auch so, dass ich sie bewusst nicht unter Druck setze (auch wenn ich Fehler sehe) und ihnen lieber das Gefühl gebe, dass ich sie so mag, wie sie sind. Oft gehen sie dann irgendwann von ganz alleine an ihre Fehler und arbeiten daran, und dann helfe ich auch mit.
Ich wünsche wirklich jedem eine gewisse Schutzzone, in der er nicht dem vollen Druck von außen ausgesetzt ist und so akzeptieptiert wird, wie er ist.

Topothesie hab ich noch nicht gelesen, bin noch an Omnisophie und werde mir als nächstes Ankhaba schnappen, sobald es raus ist. Und ich denke, danach muss ich auch nochmal was ganz anderes lesen. :-)

Ciao
Marvis

11:51 AM  

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